Zum Buch: Lustenauer Idyllen

Lustenau als paradigmatischer Ort der Normalität. Als Stifter'sche
Idylle voller untergründig lauernder Gefahren. Als Ort an der Grenze.
Als bürgerliches Paradoxon par excellence.

 

Impressum:
© 2003 Lina Hofstädter
alle Rechte vorbehalten
Gestaltung: Peter Ammann
Druck: Hecht Druck, A 6971 Hard
ISBN: 3-85298-107-7

 

Mit Fotografien von Gertrud Linder

95 Seiten In Leinen gebunden

Vergriffen. Restexemplare bei der Autorin erhältlich

Leseprobe

Kindheit

Die Kindheit eine einzige große Apfelschlacht, ein Fest dionysischer Vorfreude,
das erst endet, wenn alle Kinder weinend nach Hause gerannt sind. Die kleinen,
harten, von den Bäumen gefallenen grünen Äpfelchen im sportlichen Zweikampf
so lange aufeinander geschossen, bis kein Apfel und kein Kind mehr übrig bleibt.

 

Das Ried I

Eine früheste Erinnerung daran, wie wir hinauszogen ins unendliche weite Ried,
um der Mutter einen Muttertagsgruß zu pflücken. Gras und Blumen so hoch,
dass ich mich wie durch einen Urwald hindurchkämpfte auf der Suche nach den
allerschönsten blauen Irisblüten. Von Naturschutz keine Rede damals - ange-
sichts eines Muttertags.

 

Idyllisch 1

 

Das Ried II

"Dass du mir ja nie ins Ried gehst!" Wöchentliche Sommerwarnung.
Das Ried ist unendlich. Darin kann sich ein Kind verlaufen und findet nie mehr
heim. Hänsel und Gretel. Als ich später die Kieswege und Beschilderungen ent-
deckte, war es für ein Zuwiderhandeln bereits zu spät.

 

Familiensonntag

Am Sonntagnachmittag der Sonntagnachmittagspaziergang der ganzen Familie.
Zusammengeballtes Familienglück. Eine öffentliche Demonstration der Geschlos-
senheit. Als Beispiel für alle weniger Glücklichen, die keine Familie haben.
Die Kinder gehen voran, ohne miteinander zu streiten. Ein großes Glück für die
Kinder, wenn auf dem Spaziergang andere spazieren gehende Familien getroffen
werden. Dann erst wird das Familienglück durch die Relativierung fröhlich
getrübt.

 

Gleichbehandlung

Die Arbeit ist das Wichtigste im Leben, auch wenn man sie noch nicht begreift.
Beide Kinder müssen im Haushalt helfen. Der Bub und das Mädchen werden
gleich behandelt und müssen die gleichen Arbeiten verrichten. Das Mädchen
muss Rasen mähen und einen Hammer halten können. Der Bub muss den Vor-
platz kehren und das Stiegengeländer abstauben. Selbstverständlich ist das Mäd-
chen gleich geschickt wie der Bub. Der Bub stellt sich so lange ungeschickt an,
bis er den Vorplatz nicht mehr kehren muss.

 

Idyllisch 2

 

Stickerei

Einmal im Jahr heimlich die Hauptstraße überquert und zu Käthi gegangen. Das
ohrenbetäubende Rattern der Stickereimaschinen wie ein großes Erwachsenen-
abenteuer. Wir stehen Käthi in den Füßen herum und starren auf die Muster, die
sich in der glatten Stoffbahn bilden. Jede Bewegung der Nadel völlig unerwartet.
Käthi gibt uns alljährlich eine Schachtel voll hellblauer und rosa Kartonröllchen
und schickt uns dann heim, wo wir daraus meterlange Springseile basteln. Es hat
keinen Sinn, öfter zu Käthi zu gehen, weil es lange dauert, bis sie so viele Spulen
für alle Kinder beisammen hat. Wären wir öfter dort gewesen, hätten wir vielleicht
die Wiederholungen im Muster erkannt.

 

Idyllisch 3

 

Der Rhein

Der Rhein ist die Grenze. Da hört Lustenau auf. Obwohl es auf der anderen Seite
eigentlich ganz gleich weiter geht.

 

 

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