Info zum Theaterstück: Maria. Königin. Macht – eine Demontage

maria

Maria. Königin.
©Lina Hofstädter, 2018

 


PERSONEN (DOPPELBESETZUNGEN):


Maria Stuart (trägt schwarz/weiß/purpur): zuerst junges und schönes Mädchen, groß
gewachsen, selbstsicher, dann zunehmend verwahrlost und unsicher, liegt am Ende mehr als
sie steht oder sitzt.

Francois von Frankreich (purpur)  =  Riccio (weiß) : beide klein, zart, kränklich, ein wenig
buckelig, aber hübsches Gesicht

stummer Security / (schwarz): groß, streng, durchtrainierter Bodyguard, furchterregend

Henry Stewart, Lord Darnley (purpur): groß, selbstbewusst,  gut aussehend, jung, groß gewachsen (so groß
wie Maria oder größer)

John Knox schwarz, simpel gekleidet) mittleres Alter/ selbstbewusst, groß gewachsen,
grobschlächtig  =  James Hepburn, Earl of Bothwell (in Purpur-Schwarz, aufwändig gekleidet)



Nebenfiguren:

Wechselnde Frauen (2-3):

Katharina von Medici, Königinwitwe von Frankreich  

Mary Seton, Mary Livingston, adelige Begleiterinnen von Maria (bunt gkleidet)
 

Namenlose Zofen, Hebamme  

Frauen aus dem Volk (braun oder trübe Farben)

 
Wechselnde Männer (3):

Berater: Maitland – ihr Sekretär und Berater (schwarz)

Halbbruder James Stewart, Earl of Moray/ … (purpur /schwarz)

Bedienstete/Kapitän/ Adelige (Morton u. a. Saufkumpane, Verräter) / Volk (braun,trübe
Farben)

Bühne: Bevorzugt Drehbühne; sonst immer nur kurze kleine Umbauten/ Orte nur spärlich
andeuten (vgl Renaissancetheater) zwischen den Szenen. Auch jeweils nur kleiner Wechsel
der Kleidung / Farbe des Umhangs/ Perücke. Die Doppelbesetzungen bei den
Hauptpersonen sollen sichtbar bleiben. Orte werden ev. durch Schilder angeschrieben, wenn
sonst nicht klar erkennbar (s. Renaissancetheater)


Szenen:

1.      Am Hof von Frankreich - Marie und Francois (Juli 1959) (Maria 16-17 Jahre alt)

2.      Am Hof von Frankreich – Maria verwitwet (5 Dez 1560)

3.      Abschied von Frankreich und Ankunft in Schottland; Maria als junge Königin (19.Aug.1561)  (Maria 19 Jahre alt)

4.      Einzug in Edinburgh

5.      Maria in Staatsgeschäften

6.      Streitgespräch Maria – John Knox (1563) (Maria 21 Jahre alt)

7.      Maria verliebt sich – Darnley (Februar – Mai 1565) /Maria 23 J., Darnley 19 J.)

8.      Maria in Regierungsgeschäften mit James Stewart

9.      Darnley – Maria - Gerüchteküche

10.    Darnley u Maria Heirat (Pantomime) (Juli 1565)

11.    Darnley und Kumpane

12.    Maria als schwangere Königin – Streit mit Darnley (1566)

13.    Riccios Ermordung (1566)

14.    Straßenszene: Gerüchte-Markt – Riccios Ermordung

15.    Geburt von James  

16.    Bothwells Verschwörung

17.    Auf der Straße: Gerüchte-Defilee

18.    Die Ermordung Darnleys (10.Feb.1566) und Bothwells Verrat an Maria (1566)

19.    Gerüchte-Küche, Marias Niedergang

20.    Maria und Bothwell flüchten aus Edinburgh

21.    Straßenszene. Grüchte-Defilee

22.    Maria sucht Hilfe bei Elisabeth (1568) (Maria 26 Jahre alt)


 
1. Szene
 
Histor.: Francois´ Vater, der französische König Henri II, ist bei einem Turnier verwundet
worden und stirbt.

Frankreich. Reicher Salon, Spiegel erweitern den Raum. Aber Vorhänge zugezogen. Security
steht reglos an der Tür.  

Francois 15jährig, blass, liegt auf der Couch. Maria (Marie), 16-jährig, reich gekleidet, sitzt
bei ihm, hält ihn. Beide verzweifelt.

 
F: Ins Auge! Ausgerechnet ins Auge! Es war doch ein Spiel! Wieso konnte das so ins Auge
gehen?

M: Es war vorhergesagt, sagt deine Mutter. Vorhersehbar. Sie hat ihn gewarnt. Aber er
wollte es. Partout diese Runde noch! Immer musste er gewinnen. Er war ein Siegertyp …

F: Und jetzt ist das ins Auge gegangen. Ausgesiegt! Und jetzt soll ich …?

M: Ja. Jetzt bist du dran.

F: Aber ich bin kein Siegertyp.

M: Nein, das nicht. Aber ein lieber Mensch.

F: Das genügt nicht, in diesem Geschäft, das weißt du doch, Marie.

M: Dazu hat man Berater, Gremien, Parlamente. Die machen das schon. Du schaffst das!

F: Aber mein armer Vater! Jetzt bin auch ich vaterlos. Ein verlassenes Kind. So wie du, als du hierher kamst.

M: Ja, beide sind wir jetzt verlassene Kinder und müssen Königskinder spielen.

F: Ins Auge! Warum ins Auge? Er hatte den Gesichtsschutz auf. Ein König muss immer und
überall auf sein Gesicht achten, das wusste er. Gesicht wahren. Mit dem Gesichtsschutz darf
doch nichts passieren! Es war nur ein sportlicher Wettstreit! Spiel!

M: Sport ist Mord …

F: (erbost): Lass die Weibersprüche, Marie!

M: Entschuldige. War nicht so … Er hätte nur aufhören müssen. Wie deine Mutter
ihm geraten hat. Aber eben: Weibersprüche! Wer hört schon auf uns?

F: (umarmt sie fester, klammert sich geradezu an sie):  Ich! Ich! Habe ich nicht immer auf
Mutter gehört? Auf dich?

M: (besänftigend) Klar, Francois. Aber du bist halt nicht wie dein Vater, nicht so –
strotzgesund – nicht so ein Siegertyp …

F: Eben. Das ist es. Und jetzt soll ich … in seine Fußstapfen …

M:  Du schaffst es, mein kleiner Francois! Wir schaffen es! Ich bin ja auch noch da.

F: Ja, Marie. Wenn ich dich nicht hätte! Wie gut, dass du mein Frauchen bist.

M: Jetzt bist du der Boss, verstehst du? Musst dich einfach daran gewöhnen. Setz dich mal
hin und probier, wie sich das anfühlt.

F (probiert Posen aus) : Scheiße!

M: Nein, gar nicht – Siegertyp!

F: So?

M: Ja. Vielleicht noch ein bisschen breiter die Beine. Brust heraus. Huldvoll die
Hände bewegen. – Immer beide Hände. – Ja. So.

F (lächelt gequält) : Wenn ich dich nicht hätte …

M (küsst ihn auf die Stirn) : Ja, mein kleiner König. Was tätest du ohne Königin? Spielen wir
eine Runde? Fangen? Blinder Mann?

F (zuckt zusammen)

M: Oh, ´tschuldige! Das war jetzt unsensibel.

F: Schon gut. Dein Vater ist schon so lange tot, da weißt du nicht mehr, wie das ist.

M: Ja, ich war grad sechs Tage alt. Da hab ich schon die ganze Scheiße geerbt. Dreißig war er.
Ist doch kein Alter, um zu sterben! Und ich war nicht viel wert, haben sie mir erzählt. Keiner
glaubte, ich würde es lange machen. Und jetzt – schau mich an!

F: Fast wie bei mir. Nach so vielen Fehlgeburten, hat Mutter alles geschluckt, was die
Medizin nur kannte, bloß um endlich ihr Kind zu kriegen. Als Frau musst du einfach ein Kind
bekommen, und als Königin bist du tausendfach dazu verpflichtet. Aber was ist dabei herausgekommen?
Ich! (Er lacht böse auf)

Von einem Arzt zum anderen haben sie mich geschleppt, damit ich´s dertu. Und jetzt haben
sie mich so lange gepäppelt, nur damit sie so einen Nachfolger haben fürs große Geschäft …
(Maria gibt vor zu furzen und aufs Klo zu müssen. Francois steigt aber auf den Witz nicht ein)
… bloß damit nicht die Falschen ans Ruder kommen! Dabei bin doch ich der Falsche …

M: (spielerisch, versucht ihn aufzumuntern): Der falsche Walsche! Der falsche Walsche! …
(sie tanzt kindisch um ihn herum, zieht ihn mit beiden Händen von der Couch, schließlich
tanzt er widerstrebend mit. Sie klatschen in die Hände und tanzen zum Unsinnsreim. Bald
lässt sich F. aber wieder erschöpft auf die Couch sinken)

F: Uff! – Das ist nicht lustig, Marie!

M: Ich weiß. Aber wenn alles ganz schrecklich ist, musst du dich belustigen. So hat es mein
königlicher Vater in Schottland gehalten. Alles ist immer bergab gegangen, nichts hat
funktioniert, aber er hat sich königlich amüsiert. Mutter hat ihm das immer vorgeworfen.
Klar, war für sie nicht so angenehm. Ständig hatte er irgendwelche Weiber … Und die teuren
Feste, wenn Ebbe in der Kasse war. Klar. Sie musste das dann hintenrum richten. Durfte sich
nichts anmerken lassen. Sie hat sich nicht amüsiert. Aber er schon … Ich hab´ ein bisschen
sein Blut.

F: Ja, aber möchtest du denn, dass ich mit anderen …?

M (streicht ihm übers Haar): Du doch nicht, Francois! Du könntest doch gar nicht …

F (zuckt von ihr weg) : Sag das nicht! Die Ärzte versichern, das wird schon noch. Ich bin noch
zu jung. Aber warte nur: Wenn ich dann ein richtiger Mann bin …! (er stürzt sich auf sie und
wühlt unter ihre Röcke)

M (lacht hellauf, keineswegs sarkastisch, und macht mit beim gespielten Sex) : So und so,
sagen sie, geht das! Ja, so! Aber man darf nicht lachen dabei. Sonst geht das in die Hosen!

F (lacht mit) : Alles geht in die Hosen!

M (mit Seitenblick auf den Security): Ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit, mein Herr!
Schließlich seid Ihr jetzt der große Boss und wir stehen unter Beobachtung. Da darf nichts in die
Hosen gehen!

(Beide kichern): In – die – Hosen –
(Keuchend setzen sie sich hin und ordnen ihre Kleider)

F (ernst): Vergiss bitte nicht: Wir sind in Trauer!
(Sie sitzen eine ganze Weile stumm und züchtig – repräsentativ neben einander, probieren
königliche Posituren aus. Verfallen dann wieder ins Kichern. Flüstern:  )  

M: In die Hosen … Traurig, traurig …  

F: Wart nur – das wird schon noch!

M: Und wie das werden wird!
(Plötzlich verfällt F. wieder in Verzweiflung. Wirft sich ihr weinend an den Hals)

F: Dieser blöde Splitter! Warum musste das passieren?

M: In der Bibel heißt es …

F: Hör mir bloß auf, mit deiner Bibel! Das ist wie mit Mutters Nostradamus. Der hat auch
immer alles schon gewusst. Dabei konnte doch keiner ahnen … Es war ja nur ein Spiel!

M: Er war ein Spielertyp, dein Vater. Wie meiner auch. Damit und mit ihrem Charme haben
sie alle bei der Stange gehalten. Bis die Stange brach … Jede Stange bricht, wenn du
überspannst … Überspannt waren sie alle beide. Aber das war ihr Betriebsgeheimnis. Damit
haben sie sich aus allen Krisen herausmanövriert. Mit ehrlicher Rechtschaffenheit kommst
du nicht weit in einer Machtposition.

F: Das steht aber nicht so in deiner Bibel, oder?

M: Nein, das sagt mein Onkel. Der weiß, wie´s geht. Sonst hätte er nicht jetzt gleich die
Oberaufsicht übernehmen können, oder?

F: Mein Vater hat ihm immer vertraut.

M: Wie ein Fuchs dem anderen, ja. Und alle haben ihn gefürchtet.

F: So geht das wohl. Bloß mich fürchtet keiner …

M: Ja, so geht das. Wirst es schon noch lernen, mein kleiner König! Und der Wahrheit muss
man halt auch einmal ein wenig nachhelfen … (Sie flüstern, werfen Seitenblicke auf den
Security)

F: Meinst du das Testament?

M: Psst! Genau. Wie hätte dein Vater im Koma das noch aufschreiben können? Er hat ja kein
Wort mehr herausgebracht.

F: Vielleicht hatte er einen lichten Moment?

M: Papperlappapp! Das hat mein Onkel für ihn aufgesetzt und auch gleich selbst
unterschrieben, wie es nicht mehr anders ging. Er hatte ja Briefpapier und Siegel. Und die
Unterschrift … er hat schließlich ständig für deinen Vater …, weil der so bürokratische Sachen
hasste.

F: Meinst du? Echt? Er hat die Unterschrift …?

M: Psst! Ich bin überzeugt davon. Und alle munkeln es. Aber er kannte ja die Absichten
deines Vaters, wusste, was der gewollt hätte, hätte er noch gekonnt. Und er war allein mit
ihm am Totenbett und da hatte dann – o Mirakel! – dein Vater seinen einzigen lichten
Moment und unterzeichnete die Vollmacht. Wer will das Gegenteil beweisen?

F: Genau. Jeder glaubt, was er glauben will. Und ich glaube eben, dass es wirklich so war.
Dass er noch einmal die Augen aufmachte …

M: Ein Auge, nur eines!

F: Musst du immer -? Es war so grauslig! Das Blut übers ganze Gesicht und die ausgeronnene
Augenhöhle! Ich wollte nicht hinschauen, aber ich konnte nicht anders. Und jetzt sehe ich
das immer vor mir. Ich träume davon, wie er mich anstarrt. Ein Zyklop!

(Er schluchzt, klammert sich an Marie)

M: Komm, mein kleiner Francois, versuch es zu vergessen. Wir werden das Spiel schon noch
lernen. Denk an die schönen Kleider und das tolle Fest, das wir hatten,  vor dem Unglück.
Und dann drück die Pausentaste. Mach das immer wieder, bis der Film von selbst auf Pause
schaltet. Das hat mir auch der Onkel beigebracht. Immer wenn ich Heimweh bekam: Denk an
die schönen Kleider, und dann – Pausentaste. Immer wieder. Bis die Taste automatisch einrastet …

F: Heimweh? Du hattest Heimweh? Das hast du mir nie gesagt. Heimweh nach dem
armseligen, kalten Schottland? Hier bei uns, in Frankreich, wo es so schön ist, wo alles
perfekt ist? Hier, in diesem reichsten aller Länder hattest du Heimweh??

M: Man erzählte es mir so, zumindest. Ich selbst weiß es nicht mehr. Eben: Schöne Kleider.
Pausentaste.

F: Gut, ich werd´s versuchen. Vielleicht hilft es mir ja auch. Aber ich bin kein Siegertyp.

M: Das kann man lernen. Du bist noch jung. Übe einfach jeden Tag ein bisschen.

(F. probiert wieder Posen)

M: Genau so. Sie sagen, die Pose macht die Haltung. Pose ist alles. Pose und Pausentaste.

F: Wenn du es sagst … Okay. Schreiten wir zum Dinér.
(Er erhebt sich, Brust heraus, hustet, reicht ihr die Hand, tätschelt beim Hinausgehen
huldvoll dem Security auf den Arm. Der schließt die Tür hinter ihnen)

 

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