Lektüre einfach so

Aus dem unveröffentlichten Gedichtzyklus:                           Raum und Zeit   (ab 2008)

 

Am Südring

Sauertöpfisch bröckelt
Mauerputz
Am Boden bilden
Häufchen
Bröselgebirge
Einstiger Größe.

© Lina Hofstädter, 2008


5 Minuten

Fünf Minuten fehlen
Auf die richtige Zeit
Wenn der Einfahrtschranken
Sich öffnet
Hinunter, hinein
Wo ich
Mit allerhöchster Erlaubnis
Dann dauerparke.

© Lina Hofstädter 2008


Einfachheit

Es ist
Wie es ist
Nicht
Weil es so sein müsste
Nicht
Weil es so sein wollte
Es soll so sein wie
Es ist
Einfach.

Zu einem ORF Interview mit A. Zeilinger über Gott und Zufall. 1.2.2013



Aus dem Kurztexte-Projekt „Ein-Sätze“ (Satzkonstrukte zur Rettung der Deutschen Syntax und des komplexen Denkens)

Der Denker

Ein Mensch, der sich dem kurzatmigen Gehetze und Gedränge unserer Zeit widersetzt und eines Tages beschließt, einen Gedanken voll und ganz zu Ende zu denken und anstößige Nebengedanken wie auch Denkanstöße aller Art nicht einfach zu umgehen, sondern sie vielmehr mit eiserner Machete aus dem Weg zu räumen, der macht sich auf zu einer gefährlichen Wanderung  mitten hinein in den unübersichtlichen Urwald, den die Realität für uns arme Menschengehirne darstellt, ohne die Gewissheit auf einen guten Ausgang seines Vorhabens oder auch nur ein absehbares Ende des Gedankenganges, der ihn öfter als nicht bis zur Erschöpfung im Kreis von einer angeblichen Notwendigkeit zur nächsten führen wird oder von einer festgezurrten Hypothese zur nächsten, von der man als alternativlos spricht, die also somit wahllos aus dem Kreis der Möglichkeiten herausgezupft wurde, was ihn in immer größere Verwirrung und Unsicherheit stürzen wird, wie dieser Satz den Leser  zu keinem guten Ende zu führen scheint, sondern am Ende ihn mehr tot als lebendig mit all seinem Denken einsam zurücklässt.

 

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Wessen Habitat ist die Alm?

Also, ursprünglich war auf der Alm gar nichts, vermute ich einmal. Nach dem Rückgang der Gletscher streiften wilde Tiere wie Bären und Wölfe durchs Gebirge und suchten Fressbares. Später zogen auch die steinzeitlichen Jäger in die Höhenlagen, um das dort geschossene Wild ohne Fliegenprobleme als Bündnerfleisch, das damals natürlich noch nicht so hieß, für den Winter zu konservieren. Sehr viel später trieben arme Bauern ihr spärliches Vieh im Sommer in höhere Lagen, um genug Futter für die Tiere zusammenzubringen. Dann erst, vor noch nicht gar so langer Zeit, entdeckte man, dass man die dort gewonnene Milch, anstatt sie mühsam wieder vom Berg herunter zu karren, eigentlich auch einem hungrigen Wanderer gegen Geld verkaufen könnte, so der das wünschte. Somit kamen immer mehr Wanderer, denen die frische Sauermilch und der Almkäse mundeten und man machte aus der kargen Stube des Almhirten eine Wirtsstube und schaffte Bier und anderes, wie Speck und Essiggurkerl und  EU-konforme Dosenmilch, hinauf. So kamen auch die Tourismusverbände auf die Idee, die Almwege nicht nur fürs Vieh, sondern auch für Transporte und die Touristen auszubauen und zu bewerben. Und damit entstand der große Wanderer-Ansturm jeden Sommer und damit ein paar Probleme.

Die Agrargemeinschaften und Almbesitzer liebten zwar das Geld der Touristen, aber das Vieh liebte die Touristenmassen nicht immer gleichermaßen, weil man Geld ja nicht fressen kann bzw. weil das dem Vieh nicht schmeckt. Deshalb begannen die Tiere zu rebellieren, und die Bauern wunderten sich, dass sie auf einmal dafür haftbar sein sollten, wenn der eine oder andere Tourist beim Revierkampf zu Tode kam. Schließlich war das Vieh vor den Touristen auf der Alm gewesen, und dementsprechend hatte es die älteren Rechte, oder?

Und schließlich kam es noch schlimmer: Nun wanderten auch noch Bären und Wölfe in die Almen ein. Zugegeben, diese Tiere hatten die Berge lange vor dem Vieh einmal bewohnt. Aber weshalb hatte man sie mühsam ausgerottet, nur damit sie jetzt zurückkamen und im Flachland gezüchtete Schafe fraßen? Und es gibt doch tatsächlich Gesetze (natürlich international und ohne den österreichischen Bauernbund beschlossen), die es diesen bösen Viechern erlauben, dort oben zu wohnen und zu fressen, wie sie das seit Urzeiten getan haben! Hier haben doch jetzt die Bauern ihre wohlerworbenen und längst ersessenen Rechte! Also muss der Wolf weg, allein schon weil er, wenn er auf die Idee käme einen Rechtsanwalt zu kontaktieren, ältere Rechte als alle anderen geltend machen könnte! Und die überschüssigen Touristen müssen auch weg, wenn sie nicht ihr Geld abliefern, ohne eine Kuh zu stören. Und die Wolf-und Bärenbeauftragten sind sowieso mehr als übrig! Bleiben dürfen, in dem von ihnen annektierten Habitat, bloß die Bauern und ihr Vieh. Eindringlinge werden, alle seien gewarnt, kurzerhand „entnommen“! (Perspektivewechsel: Denkt sich der Wolf über Eindringlinge womöglich soeben dasselbe?)

Alpenfeuilleton vom 6.Juli 2020