Zum Buch: Kopfzirkus

Impressum:
Herausgeber und Verlag: Hecht-Verlag, A-6971 Hard
Hersteller: Hecht-Druck, Hard, 1991
Lithos: Löpfe KG, Lustenau
© Lina Hofstädter
Illustrationen: Kassian Erhart
ISBN 3-85430-145-6

 

KunstKultur
Hergestellt mit Unterstützung
des Kulturreferates des Landes Tirol


KunstKultur2 

und des Kulturreferats
des Landes Vorarlberg.

 

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Vergriffen

Leseprobe

 Eine schöne Vorstellung
Die Tigerbändigerin
Das Pferd auf Rollschuhen
Das Liebespaar am Trapez
Felix
Die zauberhafte Samantha
Eine uralte Nummer
Willy mit seiner Weltkugel
Zum guten Schluß

 

Kopfkäfige
Die Gedanken hinter der Vorstellung
Die Ställe
Augias
Unsere Kassa
Elias' Mogenzirkus
Etikettenschwindler

 

Schlußvorstellungen
Unterwegs
Der Abschied von der Kindheit
Abschiedsvorstellungen
Nachtrag
Der Abschied vom großen Zirkus
Das Alter
Der letzte Abschied

 

Hej - warst du mal im Zirkus? - in meinem Kopfzirkus mit
drehbarer Manege und clownesken Ungeheuern? Unge-
heuerlich aufgefülltes Chaos, das sich in Ordnungen wan-
delt in jedem Augenblick. Komm heute abend, dann nehm
ich dich zur Galavorstellung meiner Sehnsüchte. Was
es dich kostet? Ein bißchen Liebe, sonst nichts, gegen die
Dämonen des Unfalls, gegen die Kälte windiger Trapez-
bewegungen. - Klar, um 20 Uhr vierzehn, hier bei mir.
Eigentlich wär ja die Vormittagsvorstellung auch immer
ganz interessant, aber sie ist ziemlich exclusiv, unbesehen,
da nehm ich kaum mal jemand mit, weißt du, am Morgen bin
ich immer so verletzlich!

 

Komm! Zuerst spielen wir den Tusch! Bester alter New
Orleans für heute, weil's du bist. Meine Damen ohne An-
wesenheit, mein Herr! Nun werden Sie gleich zu Beginn
eines der größten Erlebnisse Ihrer weltlichen Laufbahn
haben:

DIE TIGERBÄNDIGERIN!

(Der graugestreifte Kater Zawinul schleicht sich unterdes
sachte in die Manege - springt! - springt auf meinen
Schoß, rollt sich da zusammen und schnurrt; ein unerwar-
teter Zwischenfall, der das ganze großartige Stimmungs-
konstrukt zum Spielkartenhäuschen macht.)

 

Also noch mal von vorn:

 

Meine Damen und Herren! Das war natürlich unser Clown
Zawinul, der uns immer wieder ins weltgrößte Konzept hin-
einpatzt. Nun aber, wenn Sie diesen Salontiger zuende
belächelt haben, schließen Sie einen Moment die Augen! -
Sie Spannung wächst! - steigt ins lächerliche Krampfhafte!
Lautlos tritt das schöne Tier in den Ring! Lautlos seine töd-
lichen Pranken! Bewundern Sie die vollendete Muskulatur
dieses Körpers! Jeder Schritt eine Symphonie, largo, das
Allegretto jederzeit möglich, noch spannungsvoll zurück-
gehalten für diesen einen Augenblick! Immer noch zieht es
bedächtig einen Kreis zwischen Ihnen und der Domptöse
in der Mitte des Raumes!

 

Eine Handbewegung, leicht, nur mit drei Fingern, und das
schöne Tier steht gebannt, schwebend für eine Sekunde,
setzt sich, stolz gähnende Geduld, es weiß was kommt,
kennt jeden Bruchteil der täglichen Nummer, kenn auch
schon den Punkt, den die Domptöse nicht mehr sieht, des-
halb kann es warten. Früher, erinnert es sich hinter Gaze-
schleiern, erinnert es sich wie auf wäßrigen Fotos, früher
waren Stäbe gewesen, und noch früher, ganz am Anfang
seines Denkgrundes, hatten Frußtritte es bewegt, hatte es
gegen Peitschen gekämpft, die aus der Luft knallten,
irgendwo schmerzlich auftrafen und sich nirgends fassen
ließen. Dann das Netz, zusammengerollt, verbissen, kratz-
end, aber plötzlich starr, als der Boden verschwand. Dann
lange schaukelnde Dunkelheit, ab und zu ein Licht, das
Fressen brachte. Dann die Stäbe, nur eineinhalb Schritte hin
und her, das Fressen, eineinhalb Schritt hin und her, das
Tor, das sich manchmal öffnete, hoffnungsvoll, aber dahin-
ter wieder nur einenhalb Schritt. Und dann kam immer wie-
der diese kleine Frau mit weichen Händen, die aus der Luft
beißenden Schmerz befehlen konnte, der knallte, wenn er
traf. Diese kleine Frau mit der leisen Stimme: »Mein schö-
nes Tier, mein schönes Tier, komm, ich bin nicht anders als
du, zweieinhalb Schritte, komm«, winkte ihre Hand, »mein
schönes Tier, du kannst nichts nehmen und nichts geben,
also seien wir friedlich, zweieinhaln Schritt Manege
gemeinsam, komm, zweieinhaln Schritt und ab und zu
Schmerzen von irgendwo, aber seien wir wenigstens fair,
mein schönes Tier, meinen Kopf gegen deine Schmerzen -
ist das ein Angebot?«

 

Ihre Hand hält den Reifen, den Ring über ihren Kopf »Komm,
spring, mein schönes Tier, dann sind wir Geschwister
auf ewig!« lockt wie Sirenengesang die leise Stimme, wäh-
rend du - das Publikum - atemlos schweigst. So kann
man's nicht machen, denkst du, so kann's doch nicht funk-
tionieren! - So springt das Tier auf der ganzen Welt. Wieso
soll es in meinem Kopf anders sein? Ich kraule Zawinul hin-
ter den Ohren und lächle: Bist du enttäuscht? Möchtest du
gerne etwas anderes sehen, etwas Wahnwitziges, etwa
das Mondtrapez? Nein, das ist viel banaler, als du
annimmst. Die einzig wahre Sensation in meinem Zirkus
sind Liebe und Haß auf zweienhalb Schritt Entfernung.

 

Aber bitte! Sehen wir weiter:

 

Tusch! Spielt mein Pianist nicht genau wie Oscat Peterson
auf der alten verstimmten Platte? Natürlich ist das Klavier
von der Temperaturschwankungen im Zelt völlig aus den
Tönen geraten, aber der Pianist ist immer noch gut und
lustig. Nach der Vormittagsvorstellung gehen wir meistens
zusammen ein Bier trinken.

 

Nun, Zawinul, halt dich am Rand der Manege, damit du
nicht unter die Räder kommst! Tusch! Meine... mein Herr!
Als nächstes, Sie werden staunen! So etwas ist Ihnen
bestimmt noch nie begegnet! - Hier das von Erich Kästner
uns großzügig zur Verfügung gestellte -

 

PFERD AUF ROLLSCHUHEN!


Und herein trabt es mit weitausholenden Schritten, ele-
gante Bogen ziehend wie beim Riesentorlauf! Applaus!
Applaus! Mit geblähten Nüstern und wehender Mähne, den
Schweif starr aufgerichtet, setzt es zu einer großartigen
Nummer an (Bisher hat es zwar erst zwei Häufchen Äpfel
fallengelassen, doch von diesem Mißgeschick unberührt,
zieht es weiter mit Grandeur seine Runde, während der
Clownkater die Äpfel in ehrfurchtsvoller Distanz umkreist).
Soeben sehen Sie eine akrobatische Glanzleistung - auf
einem Fuß in der Waage gleitet unseren Weltstar am Publikum
vorbei, ohne dieses eines Blickes zu würdigen. Lieblich die
schönen dunklen Augen zur Zeltdecke gerichtet. Und nun
kommt die eigentliche Sensation: Wird das Pferd es schaf-
fen? Auf Rollschuhen über den Schwebebalken! Meine
Damen und Herren! (Entschuldigen Sie, meine Damen, daß
ich ständig auf Ihre Abwesenheit vergesse!) Mein Herr! So
etwas haben Sie bestimmt noch nie gesehen, außer viel-
leicht ansatzweise und verunglückt in der Politik! Haha!
Wird es hier gelingen? Nun setzt es mit Anlauf zum Sprung
an! Da! Applaus! Applaus!

 

Zawinul schüttelt mißmutig den Kopf und putzt sich hinter
den Ohren. Das ist doch nichts Besonderes! Das kann ich
wohl auch. Und stolziert dann, während dich das Pferd
noch immer tobenden Applaus nach allen Seiten ver-
beugt, lächelnd ebenfalls über den Balken. Zawinul liebt
den Beifall des Publikums! Wenn die wüßten, wie einfach
das ist! Sie würden keinen Groschen dafür zahlen,
geschweigen denn, jetzt applaudieren! Stolz erhobenen
Hauptes, mit aufgeplustertem Schnurrbart, steigt Zawinul
elegant am anderen Ende des Schwebebalkens herunter,
verbeugt sich leicht und geht dann gemächlich wiegenden
Schrittes hinter dem langen Zügen der Manegentür
zustrebenden Pferd nach. Hinter ihm schließt sich der Vor-
hang aus Applaus.

 

Und nun, mein Kater, mein Herr, jene Nummer, die in dieser
Manege vielleicht am öftesten aufgeführt wurde und auch
die meisten Todesopfer forderte! Halten Sie den Atem an!
Was Sie nun live miterleben werden, ist die erstaunlichste
aller Alltäglichkeiten:

 

 

DAS LIEBESPAAR AM TRAPEZ!



In der schwindelnden Höhe der Zirkuskuppel werden zwei
Menschen über den Abgrund hinweg einander in die Arme

Trapez

springen! Und das ohne jedes sichere Netz! Hier kom-
men die Zwei! Sehen Sie ihre leuchtenden Augen und
Kostüme! Das sinnlose Abenteuer ist ihr tägliches Hand-
werk! Wird es heute wieder zu einem guten Abschluß auf
dem Boden kommen? Auch das ist nur ein Aufschub - der
Tod ist letztendlich gewiß, oder zumindest der verkrüppeln-
de Absturz, der harte Aufprall, der Stillstand des Herzens!
Welcher von beiden wird fallen? Oder geht es heute noch
einmal gut? Halten Sie den Atem an, und beten Sie, wenn
Sie können! Die teuersten Versicherungsgesellschaften
der Welt haben sich geweigert, hier Sicherheiten zu geben!
Dieser Salto mortale, gerade noch an den Fußgelenken auf-
gefangen! Applaus! Applaus! Das Herz steht einem still,
wenn sie so durch die Lüfte fliegen, diese Paradiesvögel,
immer hoffend, die Aussnahme der Schwerkraft zu sein!
Können Sie es noch mit ansehen? Ist es nicht besser, beim
Gedanken an das grauenvolle Ende gleich auf dem Boden
zu bleiben? Da! Für heute haben sie's geschafft! Tusch und
Applaus! Aber morgen oder übermorgen...? Wundern Sie
sich nicht, wenn diese Nummer eines Tages nicht mehr im
Programm steht.

 

Und nun... und nun... und nun... meine Herren Lieb-
haber und Kater und vielleicht sogar ein Katzenlieb-
haber dabei... - eine Sensation jagt die andere... wenn
Sie's nicht mehr ertragen können vor Lachen und Weinen,
wenn Sie vor Spannung einen Bauchkrampf bekommen,
erst dann werde ich Sie entlassen. Sie entgehen mir nicht,
Sie sind Bestandteil dieses Frühjahrsprogrammes! Bleiben
Sie! Bleiben Sie! Es war ja nur ein Scherz! Natürlich spielen
wir morgen abend dasselbe Programm, nur eben für
andere Liebhaber! Nur keine Angst, Ihre Eintrittskarte
berechtigt Sie auch jederzeit weider zum Verlassen dieses
Lokals! Schauen Sie! Schauen Sie nur! Jetzt gibt's was zu
lachen:

 

Hier stolpert

 

FELIX


in die Manege, der Clown, dessen Hintern schon unzähli-
gen Personen als Trittbrett gedient hat. Sehen Sie nur, wie
er sich fortbewegt: immerzu stolpernd loslaufend, wie von
unsichtbaren Tritten befördert, dann wieder blickt er ver-
wundert um sich, in Vorlage stehenbleibend, in der
Schräge einen Gedankenblick verharrend, - er kann uns
aber nicht sehen, denn er ist drinnen in unerem Kopf, er
sieht nur unsere Wände, und stolpert dann eine Runde wei-
ter. Sehen Sie nur: Jetzt zieht er aus seinem viel zu engen
Hemd etwas Elastisches, einen Plastikschlauch, immer
länger wird dieser bunte Gummi ohne Ende, Felix zieht und
zieht, bis er in weitem Bogen von sich weggespannt
dasteht, mittels eines Purzelbaums verlängert er das Ding,
noch einer, noch ein dritter! Felix hat immer noch nicht sein
Ende gefunden, zusammengerollt und dreimal umwickelt,
in das Ding verheddert, liegt er jammernd am Boden. Da!
Ein kleiner Knall, und blitzschnell rollt das nun befreite Ding
im Zusammenziehen Felix wieder zurück auf die Füße! Da
steht er: Der Sieger über die Elemente der Dehnbarkeit und
des unbestimmten Verhängnisses! Stolz das Ding in seiner
Linken baumelnd, kratzt er sich rechts den Manegenrand
aus den Haaren. Applaus! Applaus! Nun führt er das Ding
an die Lippen - es scheint nicht zu schmecken-, hält es
wieder weg, weit weg, damit er es besser übersehen kann,
stolpert dazwischen auch wieder mal ein bißchen... Da hat
er das Ding plötzlich entschlossen im Mund und in uns reift
die Erkenntnis: Das Ding ist ein Luftballon!

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